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Sonntag, 26. Juni 2016

The Spectator: Für die junge Generation war der Brexit ein herbes politisches Erwachen



Von Lara Prendergast, 25 June 2016

Nachdem der Brexit am frühen Freitag Morgen zur Tatsache wurde hat sich meine Facebookleiste mit trauernden Mitteilungen von Freunden gefüllt, die für den Verbleib gestimmt haben. Jene, die für den Austritt stimmten blieben dagegen überwiegend ruhig. Das ist verständlich. Die meisten meiner Freunde sind in ihren Zwanzigern. Sie sind alle gebildet und in ihrer Perspektive globalisiert. Sie haben die Reisefreiheit genossen, welche ihnen die EU bot und haben von der britischen Mitgliedschaft insgesamt vor allem profitiert. Es ist daher schmerzlich, wenn einem die Vorteile der EU plötzlich weggenommen werde und ich kann dies in vielerlei Hinsicht verstehen.

Die Entscheidung für den Brexit ist zweifellos der definierende politische Augenblick meiner Generation. Ich nehme wahr, dass sich nun mehr Menschen politisch verpflichtet fühlen, als jemals zuvor. Basierend, was sich in den letzten 24 Stunden bei mir auf Facebook abgespielt hat möchte ich einige Beobachtungen weitergeben über das, was diskutiert wurde.


Demokratie

Das erste ist der Respekt für die Demokratie - und der Akt, dem Volk die unmittelbare Möglichkeit zu geben ihre Meinung zu sagen - der alles durchdringt. Am Dienstag haben über 17 Millionen Menschen für das Verlassen der EU gestimmt. Das ist eine Menge. Währenddessen macht eine Petition bei Facebook die Runde, die bislang über eine Million Unterschriften hat. Darin wird das Parlament um ein zweites Referendum gebeten. Die Leute sind bereits ganz aufgeregt deswegen, weil sie meinen, sie könnten damit etwas ändern.

Doch die Petition impliziert offenbar, dass die 17 Millionen "Raus" Stimmen missachtet werden sollen, weil damit etwas verändert wurde. Ich finde das interessant, da es einen Glauben offenbart, dass es möglich ist, eine Stimme mit einer anderen zu überstimmen, um ein anderes Ergebnis zu produzieren. Es erinnert mich an die Protestanten, die nach der letzten Parlamentswahl sich vor dem Parlamentsgebäude versammelten und riefen "Das ist nicht Demokratie/Demokratie sieht so aus." Letzten Dienstag, das war wie Demokratie aussieht, wie Brendan O'Neill beobachtete. Unglücklicherweise enden die Dinge eben nicht immer so, wie man es sich vorstellt.


Klein London

Die zweite Beobachtung dreht sich um London, wo ich wie auch viele meiner Freunde leben. Auf Facebook geht gerade noch eine weitere Petition, welche die Unabhängigkeit Londons fordert und dessen Beitritt zur EU. Derzeit hat sie über 120.000 Unterschriften. Sie ist sicherlich nicht toternst gemeint, aber ich finde, es zeigt recht gut, wie sehr London noch immer in seiner "Verbleiben" Blase steckt und das in der Ecke eines England, das sich allüberwiegend für das Verlassen entschieden hat.

Ich habe einige Leute gesehen, die sich über die "Klein Engländer" beschwerten. Mein Eindruck aber ist eher, dass die "Klein London" Einstellung mindestens genauso verbreitet ist. London unterscheidet sich bereits heute stark vom Rest des Landes, wenn es um Wohlstand und Demografie geht. Die Vorstellung, dass sich London noch weiter entfernt scheint mir kontraproduktiv angesichts der jetzigen Situation. Es scheint auch gegen den Kern der liberalen Einstellung zu gehen, der viele junge Leute nachhängen. Donald Trump spricht davon, Amerika vom Rest der Welt zu isolieren. Wollen die Londoner ihre Stadt wirklich noch mehr vom Rest des Landes trennen?

 
Frieden und Liebe

In die selbe Richtung geht der dritte Punkt, der sich um den Frieden und Liebe dreht, die dem Referendum auf Facebook entgegen gebracht wurde - jemand schrieb einen Kommentar "Eine Stimme für den Verbleib ist eine Stimme für die Liebe" - es gibt nun aber eine Menge Hass in Richtung der Millionen, die für das Gegenteil gestimmt haben. Nur, nicht jeder, der für das Verlassen gestimmt hat ist ein Rassist, wie auch nicht jeder Einwanderer ein Dschihadist ist. Es gibt legitime Besorgnisse auf beiden Seiten der Debatte, aber ich verstehe nicht so ganz wie es helfen soll, Millionen Menschen in dieser Weise zu charakterisieren. Schlimmstenfalls wirkt es wie der Duktus der Priviligierten gegenüber den Armen: Alles behaftet mit einer Art moralischen Überlegenheitsgefühl. Eine erstaunliche soziale Trennung hat sich in diesem Referendum aufgetan, worauf James Bartholomew hinwies in seinem Leitartikel in der aktuellen Ausgabe dieses Magazins. Die Geschichte wurde vor der Abstimmung geschrieben. Das Diagramm kam vom Guardian und zeigt, wie sehr die Trennung sich nun nach der Abstimmung offenbart:



Großbritannien war noch nie so geteilt. Wie Fraser in seinem Aufsatz für das Wall Street Journal schreibt: "Der Graben im Brexit Kampf wirkt bekannt: Er entspricht dem sozioökonomischen, an dem in so vielen westlichen Ländern gekämpft wird. Es sind die Jet-Set Absolventen gegen die Arbeiterschicht, die Großstädter gegen die Kleinstädter - und alles in allem sind es die Gewinner der Globalisierung gegen die Verlierer. Politiker, ewig besessen von der Zukunft, neigen manchmal dazu jene, die ungeschützt in unserer zunehmend zerfasterten Zeit als Artefakte der Vergangenheit zu erachten. Tatsächlich aber sind die Verlierer der Globalisierung per se so neu wie die Globalisierung selbst."


Die 75 Prozent

Der letzte Punkt bezieht sich um die Wahlbeteiligung der jungen Generation. Es gibt ein Mem, das ich sehr oft bei Facebook herumgehen sah, welches zeigt, dass die Jungen zu dreivierteln für den Verbleib gestimmt haben. In Reaktion darauf begann der Guardian damit, sich darauf als "Die 75 Prozent" zu beziehen.



Verständlicherweise hat das viel Ärger verursacht, angesichts dessen, dass die Jüngeren länger mit den Konsequenzen eines Brexit leben müssen als der Rest. Sie fühlen sich verarscht und ich bin über viele Mitteilungen gestolpert, in denen die Rede war von en Baby Boomern, welche "die EU zerstören". Was mir an dem Mem aber fehlt ist die Wahlbeteiligung (die Zahlen stammen von einer YouGov Umfrage basierend auf 4.772 befragten Personen). Die Grafik der Financial Times zeigt, dass die Wahlbeteiligung am Referendum stark steigt mit zunehmendem Alter:



Es sieht also ganz danach aus, als hätte die junge Generation weniger wahrscheinlich gewählt - wogegen die Älteren verstärkt an der Abstimmung teilnahmen. Wäre die Teilnahme bei Jüngeren größer gewesen, dann wäre auch ihr Einfluss größer gewesen, aber wie immer eigentlich, gab es den Trend, dass mit ansteigendem Alter die Teilnahmewahrscheinlichkeit stieg. Daher: ja, 75 Prozent der jüngeren Generation - die teilnahmen - haben für den Verbleib gestimmt, aber es gab (absolut gesehen) bei weitem mehr Ältere, die ebenfalls für den Verbleib stimmten, was das Mem aber unterschlägt. Und noch wichtiger, wären mehr Jüngere zur Wahl gegangen, dann wäre das Ergebnis anders ausgefallen. Es hätte womöglich mit einem Verbleib geendet.


Das politische Erwachen

Viele junge Leute fühlen sich vom demokratischen System im Stich gelassen, da es ein Ergebnis produziert hat, das ihnen nicht gefällt. Viele in meiner Generation ist die EU ziemlich wichtig, aber vielleicht haben sie davor die Kräfte unterschätzt, die gegen sie standen. In den letzten Wochen haben sich einige meiner Freunde für den Verbleib engagiert. Doch sie standen gegen eine Raus-Kampagne, die seit Jahren - wenn nicht gar Jahrzehnten - am Rollen war und die mittlerweile ein enormes Momentum erreichte. Gegen all ihre Zuneigung, die sie für die EU empfanden stand eine vergleichbare Verachtung ihr gegenüber - und keine noch so umfangreiche Kampagne dagegen konnte auf den letzten Metern noch etwas daran ändern.

Dies ist eine gute Gelegenheit, um ein paar Fragen zu stellen. Wenn es da eine soziale und politische Kluft gibt in unserem Land, was kann dagegen getan werden? Es ist etwas, das uns alle etwas angeht, oder können wir es ignorieren? Wollen wir das Land nun noch weiter aufteilen, oder sollen wir es wieder näher zusammenbringen? Sind uns die Menschen wichtig, die durch die Globalisierung verlieren? Hassen wir die Menschen, die uns aus der EU rausgebracht haben, oder sollten wir ihnen vielleicht anhören, was sie zu sagen haben? Ein demokratischer Prozess hat zum Austritt Großbritanniens aus der EU geführt. Es gab noch nie eine dämpfendere, schmerzhaftere und glorreiche Lektion darin, wie Demokratie funktioniert - und wenn es meine Generation politisiert hat, dann ist das umso besser.


Im Original: Brexit was a harsh political awakening for young people

1 Kommentar:

  1. Schöner Artikel, aber...
    Was genau haben denn die jüngere Generation von der EU ? Die Reisefreiheit?Gesenkte Roaming-in Gebühren? Und was genau noch?
    Das ist grundsätzlich nur mal nachgeplappert. Arbeiten würden sie alle auch ohne EU, zumindest die, die eine Ausbildung haben. Wenn sie in einen Flieger steigen, um irgendwo hin zu fliegen, müssen sie auch 2 Stunden vorher da sein, wegen der Kontrollen.Was also stört sie an den Grenzen?
    Und dann- auch sie werden älter und sie sind dann nicht mehr die "Gewinner",sondern sie werden das erste Mal erleben, wie sie abserviert werden, weil sie alt sind. Mal schauen, wie die, die heute irgendwas von Zukunft erzählen, dann voten.
    Und genau das ist das , was letztlich die Menschen spaltet.Die Jugend-für die ist nur noch Feiern, Smartphone, Reisen wichtig. Kritisches Hinterfragen ist zumindest hier in diesem Land kaum. Wir haben bewußt eine Generation erzogen, die sich mehr darum kümmert, mit welchem Geschlecht es jeden tag aufsteht, wo es abends feiern gehen kann und welches Smortphone das Schickste ist, ach ja, und dann waren da noch die megawichtigen What's App Nachrichten...Und sollte sich tatsächlich jemand in Zeitungen verirren oder doch mal Nachrichten schauen,dann wird dort kaum realpolitisch nüchtern berichtet.Die Alten hingegen lassen sich nicht mehr so verdummen,die schauen genauer hin und hören genauer zu.Und weil sie schon Verantwortung hatten in ihrem Leben für ihre Familie,ihre Zukunft wissen sie auch, das man nur teilen kann, was man wirklich über hat. Was hat man über in einem Land, wo die eigene Bevölkerung schon am Armutslimit zu einem gewissen Przentsatz lebt?
    Und ein neues Referendum? Vorher denken, kann Schaden abwenden-würde ich sagen. zumal die unterschriften, die da gesammelt werden, wohl auch aus Teilen des Landes kommen können, die ohnehin lieber Eu hätten. Es ist nun mal demokratie, das eine Mehrheit über eine Minderheit entscheidet.Sonst hätte England nicht die Monarchie aufgeben sollen.

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